Der Wolf ist wieder da. Von den einen begrüßt, weil mit Meister Isegrim ein Stück heimische Mythologie und Identität zurückkommt, wird er von anderen mit Furcht betrachtet, da der „böse Wolf“ über lange Jahre hinweg eine Angstfigur war. Nutztierhalter beobachten darüber hinaus den Anstieg der Population mit großer Sorge. Vor mehr als 80 Besuchern im  Hirschhorner Langbein-Museum versuchte Kulturgeograph Sebastian Ehret von der Christian-Albrechts-Universität Kiel unter dem Titel „Unsere neuen alten Nachbarn – Erfahrungen und Positionen im Zusammenleben zwischen Menschen und Wölfen in Deutschland“ etwas Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen.

Bereits gegen 1780 war der Wolf im Odenwald ausgerottet. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es plötzlich noch einmal große Aufregung über Rückkehrer. 1866 wurde der letzte Wolf im Odenwald getötet und auf dem Marktplatz in Eberbach ausgestellt. Noch heute steht das Tier ausgestopft im Museum der Stadt. Von Zwingenberg/Neckar führt die Wolfsschlucht hoch bis zum Wolfsstein, der die Stelle markiert, wo ihn der Schollbrunner Ratsschreiber Vincenz Diemer im Eberbacher Stadtwald erlegte.

„Die Rückkehr der Wölfe stellt uns als Gesellschaft vor eine Herausforderung“, betonte Ehret vor einem zahlreichen Publikum. Er ist überzeugt davon, dass es nur dann einen gleichberechtigten Dialog um Lösungsansätze geben kann, „wenn wir versuchen, die Position unseres Gegenübers zu verstehen – gerade wenn wir sie persönlich nicht teilen“. Der Geograph bezeichnete das Zusammenleben von Menschen und Wölfen als vielschichtig.

„Oft vergessen wir, dass die Rückkehr der Wölfe in den unterschiedlichsten Bereichen diskutiert wird“, sagte er. In Biologie, Recht, Moral, Politik, Psychologie oder Praxis gelten jedoch unterschiedliche Logiken. Das könne zu Konflikten führen. Statistisch sei es zwar richtig, dass es in den letzten 20 Jahren keinen Angriff von Wölfen auf Menschen in Deutschland gab. Trotzdem hätten einige Angst vor Wölfen. „Wissenschaftliche Analysen und psychologische Emotionen funktionieren eben nicht nach derselben Logik“, so Ehret.

Angst ist laut Ehret in den meisten Fällen also nicht das Ergebnis persönlicher Erfahrungen – „direkt betroffene Nutztierhalter mal ausgenommen“. Er erkannte vielmehr „eine Angst vor dem Unbekannten und vor dem unbekannt Bleibenden“. Möglicherweise, so seine Vermutung, sei dies auch ein Grund dafür, warum Menschen in der Beschreibung ihrer Angst häufig auf kulturgeschichtliche Bilder und Symboliken zurückgreifen.

„Ein Grund, warum die Debatte um die Rückkehr der Wölfe so emotional geführt wird, liegt an ihrer moralischen Ebene“, erläuterte Ehret. Verschiedene moralische Auffassungen geben seiner Meinung nach unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob nun die Bedürfnisse von Menschen oder die von Wölfen bei Konflikten schwerer wiegen.

Nutztiere gehören Ehret zufolge nur mit einem sehr geringen Prozentsatz zur Wolfsnahrung. „Nun sollte man diese Zahl aber richtig einordnen“, betonte er. Dass es aber ein Missverhältnis zwischen Nahrung und viel mehr gerissenem Tieren gibt, das sogenannte „Surplus killing“ (Überschuss-Töten), führte der Referent auf zwei Ursachen zurück. Im Gegensatz zu Wildtieren hätten ihre „domestizierten“ Artgenossen keine Schutzstrategien mehr, die sie reaktiveren können. Außerdem könnten sie durch die Haltung in Gehegen nicht flüchten und sich auch nicht wehren.

Bei Wölfen wiederum „wird der typische Ablauf einer Jagd durch die Präsenz der Nutztiere gestört und immer wieder von vorne gestartet“. Pro Angriff werden dann mehrere Tiere gerissen. So geschehen Ende 2017 in Kailbach (Oberzent). Erst vor eineinhalb Monaten wurde wieder ein Tier bei Neckargerach beobachtet – interessanterweise nicht weit weg von der Stelle, wo 1866 der letzte Odenwald-Wolf erschossen wurde.

Die mediale Debatte um das Zusammenleben von Menschen und Wölfen verläuft alsoderart umfangreich, laut und kontrovers, „dass es nicht mehr möglich ist, ihr zur Gänze zu folgen“, sagte Ehret. Mittlerweile handle es sich um ein gesamtgesellschaftliches Thema. Verschiedenste Interessensvertretungen und Verbände versuchten ihren Positionen Gehör zu verschaffen. Alle großen Parteien hätten eigene Positionen zu dem Thema entwickelt. „Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir lernen, uns gegenseitig besser zu verstehen und aufeinander zuzubewegen“, so Ehret abschließend.

Sebastian Ehret, aus Wilhelmsfeld (bei Heidelberg) stammend, lebt seit zehn Jahren in Kiel und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der dortigen Universität.

Quelle: Neckartalnachrichten, Thomas Wilken; veröffentlicht am